Oberlandesgericht Düsseldorf, I-20 W 132/11
14.11.2011
Oberlandesgericht Düsseldorf
20. Zivilsenat
Beschluss
I-20 W 132/11
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss
des Landgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2011 abgeändert.
Der Beklagten wird für das Verfahren in erster Instanz
rückwirkend ab dem 8. April 2011 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Zugleich wird ihr Rechtsanwalt A. zur vorläufigen unentgeltlichen
Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz rückwirkend ab dem
8. April 2011 beigeordnet.
G r ü n d e :
Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 8. Juni 2011, mit der sie sich gegen
die Versagung von Prozesskostenhilfe für ihre Rechtsverteidigung in erster Instanz
wendet, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat eine
hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung zu Unrecht verneint.
Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die
beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die beabsichtigte Rechtsverteidigung der Beklagten bietet eine hinreichende
Aussicht auf Erfolg. Es steht nicht fest, dass die Beklagte die ihr vorgeworfenen
Urheberrechtsverletzungen begangen oder zu vertreten hat. Das Landgericht hat
die die Beklagte treffende Substantiierungslast verkannt. Die Beklagte ist nicht
gehindert, die Aktivlegitimation der Klägerinnen, das Anbieten der
streitgegenständlichen Musikdateien über die IP-Adresse … und die Zuordnung
dieser IP-Adresse zu ihrem Anschluss mit Nichtwissen zu bestreiten. Die Beklagte
hat keinen Einblick in den Geschäftsbetrieb der Klägerinnen, des „Onlineermittlers“
und des Internetproviders. Die weitere Substantiierung des Klägervortrags ist für die
Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen irrelevant.
Soweit sich die Beklagte gegen die Verpflichtung zur Erstattung der Abmahnkosten
wendet, hat ihre Rechtsverteidigung unabhängig vom Ausgang der
Beweisaufnahme hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Abmahnung der Klägerinnen
genügte den an eine Abmahnung zu stellenden Mindestanforderungen nicht. Zur
Abmahnung gehört, dass der Abmahnende seine Sachbefugnis darlegt, also
kundtut, weshalb er sich für berechtigt hält, den zu beanstanden-den Verstoß zu
verfolgen (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.13; Ahrens/Deutsch, Der
Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. Kap. 1 Rn. 35). Die Abmahnung muss mit
hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, welches konkrete Verhalten
beanstandet wird. Auch wenn der Gläubiger Unterlassung nicht nur der konkreten
Verletzungsform begehrt, muss er doch den Anlass der Beanstandung ganz konkret
bezeichnen, damit der Schuldner weiß, was genau für den Gläubiger den Stein des
Anstoßes bildet (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.15; OLG Stuttgart,
WRP 1996, 1229, 1230). Um ihren Zweck zu erfüllen, muss in der Abmahnung der
Sachverhalt, der den Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens begründen soll, also die
begangene Handlung, genau angegeben und der darin erblickte Verstoß so klar und
eindeutig bezeichnet sein, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen
ziehen kann (OLG Köln WRP 1988, 56; Ahrens/Deutsch, a.a.O. Rn. 45).
Vorliegend sind weder die Aktivlegitimation noch der Verstoß hinreichend
dargelegt. Das Anbieten von 304 Audiodateien zum Herunterladen stellt alleine
noch keinen Urheberrechtsverstoß da. Nicht jedes Angebot einer Audiodatei zum
Herunterladen verletzt fremde Urheberrechte. Die Dateien können gemeinfrei oder
mit einer allgemeinen Lizenz versehen sein. So ist es inzwischen nicht mehr
ungewöhnlich, dass Interpreten ihre Stücke zur freien Verbreitung in das Internet
einstellen. Zudem ist das Urheberrecht ein Ausschließlichkeitsrecht. Es ist jedem
Inhaber von Urheberrechten selbst überlassen, ob er seine Rechte im konkreten
Fall ausübt oder ob den Verletzer gewähren lässt. Ein Dritter kann diese Rechte
nicht geltend machen. Von daher verfängt auch das Argument, eine Berechtigung
der Beklagten an den Titeln sei jedenfalls nicht ersichtlich, nicht. Entscheidend ist
allein, ob und an welchen Titeln den Klägerinnen Rechte zustehen. Ohne die
Angabe der Titel, durch deren Angebot die Rechte gerade der Klägerinnen verletzt
worden sind, konnte die Beklagte der Abmahnung daher nicht entnehmen, welches
Verhalten sie in Zukunft unterlassen soll. Zur generellen Unterlassung des
Anbietens von Audiodateien zum Herunterladen ist sie eben nicht verpflichtet,
sondern nur zur Unterlassung des Angebots der Titel der Klägerinnen. Der zur
Unterlassung verpflichtende Verstoß war folglich nicht das Anbieten von 304
Audiodateien zum Herunterladen, sondern – die Aktivlegitimation der Klägerinnen
unterstellt – das Angebot der vier im Klageantrag genannten Musiktitel der
Klägerinnen. Dieser Verstoß hätte in der Abmahnung dargelegt werden müssen,
wobei zum notwendigen Vertrag der Aktivlegitimation zumindest auch die
Zuordnung der Titel zu einzelnen Klägerinnen gehört hätte.
Ohne eine solche Darlegung war der Beklagten die Abgabe einer wirksamen
Unterlassungserklärung gar nicht möglich. Die Liste der zum Herunterladen
angebotenen 304 Audiodateien besteht vorwiegend aus Stücken anderer
Berechtigter und kann schon von daher nicht Gegenstand einer gegenüber den
Klägerinnen erklärten Verpflichtung sein. Eine auf die darin enthaltenen Musiktitel
der Klägerinnen oder gar – wie von ihnen in ihrer Abmahnung verlangt – auf ihr
gesamtes Repertoire gerichtete Unterlassungserklärung konnten die Klägerinnen in
Ermangelung einer Individualisierung dieser Stücke nicht verlangen. Es kann
dahinstehen, ob die Verletzung der Rechte an einzelnen Musiktiteln einen Anspruch
auf eine das ganze Repertoire der Gläubigerin umfassende
Unterlassungsverpflichtung vermittelt. Die Klägerinnen selbst machen vorliegend mit
ihrer Klage nur noch eine Unterlassungsverpflichtung bezüglich der vier nach ihrem
Vortrag tatsächlich zum Herunterladen bereitgestellten Musiktitel geltend. Eine auf
das gesamte Repertoire erstreckte Unterlassungsverpflichtung setzt jedenfalls die
Beifügung einer Repertoireauflistung voraus.
Ein entsprechender Unterlassungsantrag wäre ohne eine solche Repertoireliste
nicht hinreichend bestimmt. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift
einen bestimmten Antrag enthalten. Ein Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich
gefasst sein, dass sich der Beklagte nicht erschöpfend verteidigen kann und es in
der Zwangsvollstreckung, wenn dem im Erkenntnisverfahren gestellten Antrag
Rechnung getragen würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten
ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, GRUR 1998, 489, 491 –
Unbestimmter Unterlassungsantrag III). Allein die Klarstellung, dass der Antrag und
die Verurteilung sich nur auf die zum Repertoire der Klägerinnen gehörenden
Musiktitel bezieht, ermöglicht es dem mit einem Vollstreckungsverfahren befassten
Gericht nicht, im Falle eines Streits der Parteien zu beurteilen, ob es sich bei dem
Musiktitel, wegen dessen Verbreitung durch die Beklagte die Klägerinnen die
Verurteilung zu einem Ordnungsgeld begehren, um einen zum Repertoire der
Klägerinnen gehörenden Musiktitel handelt (vgl. BGH, GRUR 2008, 357 Tz. 23 –
Planfreigabesystem). Steht nicht eindeutig fest, welche Musiktitel im Einzelnen
gemeint sind, ist der auf die Verpflichtung zur Unterlassung der Verbreitung
gerichtete Antrag nur dann hinreichend bestimmt, wenn diese individualisierend
beschrieben werden, was durch eine Bezugnahme auf einen Ausdruck oder einen
Datenträger erfolgen kann (vgl. BGH, GRUR 2008, 357 Tz. 24 –
Planfreigabesystem).
Der Gläubiger eines Unterlassungsanspruchs kann vom Schuldner als
Unterlassungserklärung nicht mehr verlangen, als was er durch eine Titulierung
erreichen könnte. Eine Unterlassungserklärung, die auf das gesamte, nicht durch
eine beigefügte Liste konkretisierte Musikrepertoire des Gläubigers gerichtet ist,
verlagert das Risiko, ob ein unbekanntes Musikstück zum Repertoire des
Gläubigers gehört, vollständig auf den Schuldner und benachteiligt ihn daher
gegenüber einer titulierten Unterlassungsverpflichtung unverhältnismäßig. Im Falle
einer vom Gläubiger für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten
Unterlassungserklärung ist eine gleichwohl abgegebene Verpflichtung daher nach §
307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Vom Unterlassungsgläubiger
vorformulierte Unterlassungs- und Vertragsstrafeverpflichtungserklärungen
unterfallen den Regelungen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
(BGH, NJW 1993, 721, 722).
Von daher kann eine Erstattung der Abmahnkosten auch nicht auf einen
eventuellen Schadensersatzanspruch gestützt werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob
die Abmahnkosten als ein Schaden verstanden werden, der auf der in der
Vergangenheit liegenden Verletzungshandlung beruht. Mit der Abmahnung wird
nicht eine bereits geschehene Gesetzesverletzung außergerichtlich verfolgt; die
Abmahnung richtet sich vielmehr gegen die Gefahren, die aus zukünftiger Handlung
des Abgemahnten drohen. Solche zukünftigen Handlungen sollen verhindert werden
(Ahrens/Scharen, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap 11 Rn. 13). Die
Abmahnung dient folglich der Verhinderung zukünftiger Verstöße, während der
Schutzzweck des Schadensersatzanspruchs darauf gerichtet ist,
Vermögenseinbußen auszugleichen, die aus der abgeschlossenen
Verletzungshandlung herrühren. Allein die adäquate Verursachung der
Abmahnkosten durch die Verletzungshandlung reicht für Schadenszurechnung nicht
aus. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm erschöpft sich nicht in einer Anwendung
der Adäquanzlehre; sie begründet vielmehr ungeachtet der Kausalität eine
normative Begrenzung der Schadenszurechnung (Bornkamm in Köhler/Born-kamm,
UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.88).
Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen, da eine Abmahnung, die den Verstoß
nicht erkennen lässt und auch den bereitwilligsten Schuldner nicht in die Lage
versetzt, eine wirksame Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, eine
völlig unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung darstellt. Zwar befreien Mängel der
Leistung den Dienstberechtigten noch nicht vom Vergütungsanspruch des
Dienstverpflichteten. Dies gilt jedoch nicht für eine Leistung, die für den
Dienstberechtigten völlig unbrauchbar ist. Eine derartige Leistung steht der
Nichtleistung gleich. In einem solchen Fall kann der Dienstberechtigte die Zahlung
des Honorars verweigern oder die Rückerstattung des bereits gezahlten Honorars
verlangen (KG, NJOZ 2011, 905 m. w. Nw.). Ein Grund, warum dieser im Bereich
ärztlicher und zahnärztlicher Leistungen seit langem anerkannte Grundsatz auf
anwaltliche Dienstleistungen keine Anwendung finden sollte, ist nicht ersichtlich.
Von daher fehlt jedenfalls insoweit an einem endgültigen Schaden der Klägerinnen.
Eine Kostenerstattung findet nicht statt, § 127 Abs. 4 ZPO.
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