Vor dem Amtsgericht Bonn hatte ich eine einstweilige Verfügung gegen einen Energieversorger beantragt, da dieser meiner Mandantin mit der Unterbrechung der Stromversorgung zum 04.12.2020 drohte, weil sie angebliche Zahlungsrückstände von mehr als 1.000,- € habe. Da die Wohnung der Mandantin nur 23 qm hatte, war dies bereits äußerst ungewöhnlich. Die Berechnung beruhte mal wieder auf einer Schätzung. Der Stromversorger hatte seit Jahren keine Zählerstände mehr erfasst. Bei Einzug war der Mandantin ein falscher Zähler mitgeteilt worden, so dass es nicht möglich war, den Zählerstand bei Einzug zu rekonstruieren. Im Endeffekt stellte sich heraus, dass dem Versorgungsunternehmen noch eine Restforderung von 16 Cent zustand!
Die Gegenseite war an einer vernünftigen Schätzung nicht interessiert, so dass die Mandantin eine einstweilige Verfügung beantragte, die darauf gerichtet war, dass die Antragsgegnerin es unterlässt, die Stromversorgung wegen der behaupteten Rückstände zu unterbrechen. Zunächst wurde antragsgemäß eine einstweilige Verfügung erlassen. Die Antragsgegnerin legte hiergegen Widerspruch ein. Nach vielen Terminen wurde die Sache schließlich für erledigt erklärt, da die Antragsgegnerin ihre Forderung aufgab. Überraschend erging jedoch eine Kostenentscheidung gegen die Antragstellerin. Tenor war im Wesentlichen, dass die Antragstellerin zunächst hätte warten sollen, bis der Strom abgestellt wird und sie friert. Durch die Androhung der Sperrung entstünden keine Nachteile gem. § 940 ZPO. Es sei ja alles nicht so schlimm. Offensichtlich hielt es das Gericht für notwendig, die Kasse der öffentlichen Stromversorger zu schonen.
Hiergegen richtete sich unsere sofortige Beschwerde vor dem Landgericht Bonn. Das Beschwerdegericht hob die Entscheidung auf und legte der Antragsgegnerin sämtliche Kosten auf.
Das Gericht ist der Ansicht, die Antragsgegnerin habe keine Berechtigung gem. § 19 Abs. 2 StromGVV und § 19 Abs. 2 GasGVV zur Unterbrechung der Stromversorgung gehabt. Diese dürfe der Versorger nur durchführen, wenn der Kunde mindestens 100 Euro in Verzug sei. Das war hier bereits nicht der Fall. Die Unterbrechung der Versorgung wegen 16 Cent hätte außerdem völlig außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung gestanden.
In Bezug auf das Schreiben mit der Androhung der Unterbrechung der Energielieferung kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an. Insofern war das Schreiben der Antragsgegnerin eindeutig als Androhung der Unterbrechung der Versorgung iSd § 19 Abs. 2 StromGVV und § 19 Abs. 2 GasGVV zu verstehen.
Zuletzt befasste sich das Gericht mit dem Argument des Amtsgerichts, der Verfügungsgrund gem. § 940 ZPO läge erst vor, wenn die Versorgung tatsächlich unterbrochen würde. Hierzu führte das Landgericht Folgendes aus:
„Die Regelungsverfügung dient der Wahrung des Rechtsfriedens durch präventiven Rechtsschutz (Zöller/Vorkommer, ZPO, 33. Auflage 2020, § 940 Rn. 4). Dieses Regelungsziel würde verfehlt, würde man die Notwendigkeit einer Regelungsverfügung erst bejahen, wenn die Versorgung bereits unterbrochen ist. Der Beschwerdeführerin wäre mit einer Realisierung ihres Rechts auf Strom- und Gaslieferung erst nach der Unterbrechung der Versorgung nicht hinreichend gedient. Unter Berücksichtigung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes konnte die Beschwerdeführerin auch nicht auf den späteren Zeitpunkt gem. § 19 StromGVV und § 19 Abs. 3 GasGVV verwiesen werden, da ihr in diesem Fall gegebenenfalls nur noch drei Werktage zur Verfügung gestanden hätten, um die Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung von Schäden zu treffen und den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erwirken. Würde man die Sperrankündigung gem. § 19 StromGVV und § 19 Abs. 3 GasGVV als maßgeblichen Zeitpunkt ansehen, stünde dies im Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des § 937 Abs. 2 ZPO, nach der die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Stattgabe in der Regel aufgrund mündlicher Verhandlung erfolgt (vgl. Zöller/Vorkommer, a.a.O., § 937 Rn. 3). Zudem soll bereits die vierwöchige Frist in § 19 Abs. 2 Satz 1 StromGVV und § 19 Abs. 2 Satz 1 GasGVV dazu dienen, dass der Kunde von einer angedrohten Unterbrechung der Versorgung Kenntnis nehmen und Maßnahmen zu deren Abwendung ergreifen kann (vgl. BR-DRucks. 306/06, S. 39). Auch überwiegt im Falle eines Zahlungsrückstands von nur 0,16 Euro bereits im Zeitpunkt der Androhung der Sperre das Sicherungsinteresse der Beschwerdeführerin gegenüber dem Interesse der Beschwerdegegnerin.“
(Beschluss des Landgerichts Bonn vom 23.07.2021, Az. 5 T 51/21)
Kurios war hier jedoch vor allen Dingen, dass das Amtsgericht unbedingt eine Kostenentscheidung gegen die Antragstellerin fällen wollte. Das Gericht hätte nämlich vorliegend im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO auch nach Quote entscheiden können:
Der Stromversorger verlangte zu Unrecht 1.067,97 € und hat erst im Termin nach mehr als halben Jahr die Forderung auf 16 Cent reduziert! Das entspricht einer Quote von 0,0001498 %. Die Kostenverteilung nach Quote hätte danach 99,99986 % für die Antragsgegnerin betragen.
Unzulässige Androhung Unterbrechung Stromlieferung
Veröffentlicht in: Aktuelle Entscheidungen
– Geschrieben am 15.09.2021
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