Wer kennt es nicht: Man schließt eine Versicherung gegen ein bestimmtes Risiko ab und sobald es an die Schadensregulierung geht, verweigert die Versicherung die Zahlung, stellt sich tot, erfindet irgendwelche Pflichtverstöße oder zahlt nur einen kleinen Teil aus, in der Hoffnung, der Versicherungsnehmer würde sich hiermit zufriedengeben. Der Gang zum Anwalt ist ja zunächst mit Kosten verbunden, so dass jeder genau abwägen wird, ob er noch etwas Geld in die Hand nimmt, um dann eventuell zu seinem „Recht“ zu kommen. Das wissen die Versicherungen natürlich auch und genau aus diesem Grunde agieren sie teilweise, wie oben beschrieben.
In dem Fall, den das Amtsgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 4.12.2012 entschieden hat, der aber noch nicht rechtskräftig ist, hatte mein Mandant in 2010 bei der CSS Versicherung AG den Abschluss einer Krankenversicherung beantragt, den diese auch annahm.
Hierbei wurden meinem Mandanten die „Mitteilungen des Versicherers gemäß § 19 Abs. 5 VVG“, weder vor noch nach Vertragsschluss zur Verfügung gestellt bzw. zugänglich gemacht.
Im Nachgang zu einer Routinekontrolle bat er die CSS erstmalig um Kostenerstattung für eine Füllungstherapie, die bei den behandelnden Zahnärzten die medizinischen Unterlagen anforderte und anschließend auf Grundlage von § 19 Abs. 2 VVG vom Vertrag zurücktrat und dies damit begründete, dass Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht grob fahrlässig verletzt habe. Vorsorglich erklärte sie die Anpassung des Versicherungsvertrages.
Mein Mandant forderte die Versicherung auf, die Kostenübernahme für die Füllungstherapie zu erklären und die Gründe des Kündigungsschreibens genauer zu erklären. Sebstredend erfolgte hierauf keine Reaktion. Auch auf mein anwaltliches Schreiben wurde lediglich reflexartig das Fehlen der Vollmacht, deren Vorlage nicht verlangt werden kann, da es sich nicht um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt, § 174 BGB, gerügt. In der Sache wurde keine Stellung genommen, weshalb der Klageweg eingeschlagen werden musste.
Das Gericht hat der Klage bereits deshalb stattgegeben, da mein Mandant seine vorvertragliche Anzeigepflicht nicht verletzt habe, wie von der CSS immer wieder behauptet wurde. Es wurde festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war und die Versicherung den Ausgleich der Füllungstherapie schuldet. Ich hatte jedoch noch andere rechtliche Punkte angesprochen, die letztlich nicht mehr gewürdigt werden mussten, aber meines Erachtens durchaus von Interesse sind.
Vorliegend wäre die Kündigung meines Erachtens auch wegen eines Verstoß gegen § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG unwirksam gewesen, weil die CSS meinen Mandanten nicht durch gesonderte Mitteilung in zutreffender Art und Weise auf die Folgen einer etwaigen Anzeigepflichtverletzung gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG hingewiesen hat.
Der im streitgegenständlichen Antragsformular enthaltene Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung entsprach schon in formeller Hinsicht nicht den Erfordernissen des Gesetzes.
Der Versicherungsantrag bestand aus insgesamt sechs Seiten. Auf der ersten Seite befanden sich Angaben zur versicherten Person. Seite 2 des Antrages enthielt Angaben zum versicherten Tarif sowie in der zweiten Hälfte Erklärungen des Antragstellers im Hinblick auf die zu versichernde Person. Auf Seite 3 begannen die ersten Gesundheitsfragen, die sich auf der ersten Hälfte der vierten Seite des Antrages fortsetzen. Am Ende der vierten Seite des Antrages befand sich folgender Hinweistext:
„Bei Antrag auf ergänzenden Krankenversicherungsschutz: Ich habe alle relevanten Vertragsbestimmungen, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Informationen des Versicherers gemäß § 1 Versicherungsvertragsgesetz-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV), das Produktinformationsblatt gemäß § 4 VVG-InfoV, das Merkblatt zur Datenverarbeitung und die Mitteilungen des Versicherers gemäß § 19 Abs. 5 VVG und gemäß § 28 Abs. 4 VVG erhalten und davon Kenntnis genommen. Die Inhalte dieser Dokumente und die Mitteilungen des Versicherers werden mit meiner Unterschrift wichtige Vertragsbestandteile.“
Erst auf Seite 5, also nach der Unterschriftenzeile, folgten die „Erläuterungen und Erklärungen“. Im oberen Drittel der linken Spalte steht ein Absatz:
„Verantwortung für den Antrag
Mir ist bekannt, dass die vollständige und wahrheitsgemäße Beantwortung der gestellten Fragen und die zu erbringenden Angaben Grundlage für die Antragsprüfung bzw. Erstellung eines verbindlichen Angebotes sind, und dass ich dabei auch Umstände anzugeben habe, denen ich nur geringe Bedeutung beimesse. Bei unvollständiger oder unrichtiger Anzeige kann der Versicherer den Vertrag anfechten oder kündigen, vom Vertrag zurücktreten und ggf. die Leistung verweigern.“
Die erwähnten „Mitteilungen des Versicherers gemäß § 19 Abs. 5 VVG“ hat mein Mandant weder schriftlich noch auf sonstigem Wege von der CSS erhalten. Zudem sollte außer Frage stehen, dass sie mit einem derartigen, generischen Hinweistext den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Warnfunktion, nicht gerecht werden kann. Insbesondere hätte sie, wenn sie schon nicht im Vorfeld gewährleistet, dass Antragsteller diese Mitteilungen auch tatsächlich erhalten, diese zumindest mit der Bestätigung des Versicherungsvertrages nachweisbar zugänglich machen müssen. Stattdessen kehrt sie das vom Gesetzgeber vorgegebene Pflichtenverhältnis ins Gegenteil und verlässt sich schlicht darauf, dass Interessierte sich die Unterlagen schon selbst besorgen.
Um der gesetzlich geforderten Warnfunktion gerecht zu werden, darf sich die Versicherung aber nicht darauf verlassen und muss durch technische Vorkehrungen dafür einstehen, dass die Belehrung mit ihren weitreichenden Rechtsfolgen auch tatsächlich dem zu Versichernden zugeht.
Selbst wenn man die Vorgehensweise der CSS für zulässig erachten sollte — quod non — würde dieses denklogisch zumindest voraussetzen, dass ein Antragsteller den Hinweistext auch zur Kenntnis nimmt. Da der Hinweis aber weder farblich noch sonst aus dem Antragsformular hervorsticht, kann hiervon im Einklang mit der Rechtsprechung keinesfalls ausgegangen werden.
Der Warnfunktion wird nämlich regelmäßig erst dadurch entsprochen, wenn die Mitteilung sich in unmittelbarer Nähe zu den Antragsfragen befindet und dem Versicherungsnehmer so direkt ins Auge springt. Der Versicherungsnehmer läuft anderenfalls Gefahr, einer informationellen Überversorgung zu unterliegen. (Langheid, in: Münchener Kommentar zum VVG, 1. Aufl., § 19 VVG Rn. 160).
Durch einen farblich wie gestalterisch nicht ins Auge stechenden Text kann sich die Versicherung dieser Verpflichtung nicht entziehen. Ich zitiere insoweit eine Entscheidung des LG Dortmund (Az. 2 O 399/09 v. 17.12.2009, Rn. 31):
„Dies berücksichtigend erfüllt die Belehrung der Beklagten nicht die formellen Anforderungen, die an einen gesetzmäßigen Hinweis zu stellen sind, worauf das Gericht ebenfalls bereits mit Verfügung vom 26.10.2009 hingewiesen hat. Denn die Belehrung befindet sich inmitten des Antragsformulars, weder vor den Gesundheitsfragen noch bei der Unterschriftsleiste. Es besteht die konkrete Gefahr, dass sie vom Antragsteller überhaupt nicht wahrgenommen wird, auch deshalb, weil sie sich vom übrigen Text auf Seite 4 des Antragsformulares nicht abhebt. Der Hinweis befindet sich auf Seite 4 des Antragsformulares neben weiteren Hinweisen zur Leistungsstaffel sowie zum Beitragseinzug und zur Leistungsauszahlung. Sämtliche Informationen sind in der (etwa) gleichen Art und Weise gestaltet, mit einer fettgedruckten Überschrift sowie mit einem in Normalschrift dargestellten Text. Der Hinweis auf die Folgen einer Anzeigenpflichtverletzung ist dadurch in keiner Weise hervorgehoben worden und sticht aus den übrigen Informationen nicht hervor. Damit erhält der Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung dieselbe Wertigkeit wie die übrigen Informationen auf Seite 4 des Antragsformulars. Ihm wird nach der äußeren Gestaltung nicht die besondere Bedeutung beigemessen, die ihm zur Erfüllung seiner Warnfunktion zukommen muss. Dass die Beklagte den Hinweis deutlicher hätte gestalten können, zeigt sie selbst bei der Unterschriftsleiste, wo sie in deutlich hervorstechendem Fettdruck die Schlusserklärung direkt über der Unterschriftsleistung platziert hat, die sich im Wesentlichen mit der Entbindung von der Schweigepflicht und der Einwilligung nach dem Bundesdatenschutzgesetz verhalten. Auch diese Informationen sind wichtig, entbinden aber den Versicherer nicht von der Verpflichtung, den Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung ebenfalls in markanter und hervorstechender Darstellung dem Antragsteller nahe zu bringen.“
Nach der Rechtsprechung kann der nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung die vom Gesetzgeber beabsichtigte Warnfunktion also nur erfüllen, wenn sich der Hinweis von weiteren Textteilen, zwischen die er eingefügt worden ist, so deutlich abhebt, dass er von einem durchschnittlich sorgfältigen Antragsteller nicht überlesen wird. Diesen Voraussetzungen wird der von der Versicherung gestaltete Hinweis nicht gerecht, der ohne jede Art der Hervorhebung in zahlreiche weitere Hinweise, Erklärungen und Erläuterungen eingebettet worden ist. Schon dieser formelle Mangel lässt es nicht zu, dass sie ein ihr ggf. zustehendes Rücktrittsrecht ausüben konnte. Hierzu führt das LG Köln wie folgt aus:
„Der im Antragsformular enthaltene Hinweis auf die Folgen einer Anzeigeverpflichtung genügt in formeller Hinsicht nicht den Erfordernissen des Gesetzes, wenn der Hinweis weder in Schrifttyp und/oder Schriftfarbe hervorsticht noch in räumlichem Zusammenhang entweder mit den Gesundheitsfragen oder mit der Unterschriftenleiste erteilt wird, so eine rechtzeitige Kenntnisnahme seitens des Versicherungsnehmers vor dem Vertragsschluss gewährleistet ist.“ (LG Köln, 23 O 377/09 v. 14.07.2010, 2. Orientierungssatz sowie Rn. 24 f.)
Das Antragsformular der CSS erfüllte indes keine der oben genannten Voraussetzungen. Vielmehr befinden sie sich in verkürzter Form auf der Seite nach der Unterschriftenseite und damit an einer Stelle, die dem Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen bzw. bei der Durchsicht des Formulars und bei Leistung seiner Unterschrift zwangsläufig verborgen bleiben muss (vgl. insoweit LG Köln, 23 O 377/09 v. 14.07.2010, Rn. 25).
Da mein Mandant die seinerzeit gültigen „Mitteilungen des Versicherers gemäß § 19 Abs. 5 VVG und gemäß § 28 Abs. 4 VVG“ nicht erhalten hatte, kann nur gemutmaßt werden, ob diese auch materiell den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden. Der Unterzeichnete hat jedoch in anderem Zusammenhang die aktuellen „Mitteilungen des Versicherers gemäß § 19 Abs. 5 und gemäß § 28 Abs. 4 Versicherungsverragsgesetz (VVG)“ (Version: U 66604 1107) erhalten.
Zunächst ist festzustellen, dass auch dieses Formular den o.g. formellen Anforderungen nicht gerecht wurde. Inhaltlich machte die CSS auf Seite 1 unter der Überschrift „Rücktritt und Wegfall des Versicherungsschutzes“ Angaben, die zum Verlust des Versicherungsschutzes führen können. Dieser Teil des Hinweistextes greift jedoch zu kurz, denn aus Sicht des Versicherten tritt ein Verlust des Versicherungsschutzes auch ein, wenn sie die rückwirkende Einführung eines Risikoausschlusses im Wege der Vertragsanpassung geltend macht. Hierzu heißt es zwar unter der Überschrift „Vertragsanpassung“:
„Können wir nicht zurücktreten oder kündigen, […] werden die anderen Bedingungen auf unser Verlangen Vertragsbestandteil. Haben Sie die Anzeigepflicht fahrlässig verletzt, werden die anderen Bedingungen rückwirkend Vertragsbestandteil.“
Was unter den „anderen Bedingungen“ zu verstehen ist, sucht man in dem Formular allerdings vergebens. Lediglich in dem folgenden Absatz, in dem Ausführungen zum Kündigungsrecht des Versicherten folgten, kann man entfernt erahnen, dass aus dem Recht der Vertragsanpassung auch ein Verlust des Versicherungsschutzes führen kann. Die Versicherung schreibt hier:
„Erhöht sich durch die Vertragsänderung der Beitrag um mehr als 10% oder schließen wir die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, können Sie den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang unserer Mitteilung über die Vertragsänderung fristlos kündigen.“
Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist dieser verkappte Verweis auf einen etwaigen zusätzlichen Verlust des Versicherungsschutzes alles andere als transparent. Der nach § 19 Abs. 5 VVG erforderliche Hinweis muss jedoch nicht nur inhaltlich zutreffend sein, sondern auch unter Berücksichtigung der Warnfunktion des Hinweises eine möglichst umfassende, unmissverständliche aus dem Verständnis des Antragstellers eindeutige Belehrung enthalten (LG Düsseldorf, 2 O 105/10 v. 10.03.2011, Rn. 21). Gemessen an alldem wird der Hinweis der CSS auch in materieller Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht.
Die Versicherung konnte sich daher auch aus materiellen Gründen nicht die Rechte aus § 19 Abs. 5 VVG berufen kann.
Die unzureichende bzw. falsche Belehrung hätte nach § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG zur Konsequenz, dass der CSS sämtliche dem Versicherer nach § 19 VVG zustehenden Gestaltungsrechte nicht zustehen und der Krankenversicherungsvertrag mit meinem Mandanten auch aus diesen Gründen unverändert fortbestehen würde (vgl. LG Dortmund, 2 O 250/10 v. 24.02.2011, Rn. 23).
Die Versicherung wird ihre Bedingungen nun möglicherweise neu anpassen. Sie werden sicher weiter daran gemessen werden, möglichst häufig den Zahnersatz zu verweigern. Das erwartet zumindest der Aktionär.
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